Pahaschi Blog
Berichte aus der Welt der Psychiatrie




Als Kranke(r) braucht man Verbündete

Leserforum-Beitrag 377 vom 16. Juli 2005 - 00:35:31 -

Hallo Derya,

Ich hoffe, Deiner Freundin geht es inzwischen wieder besser. Ich hatte vor 3-1/2 Jahren auch eine Psychose und nehme auch noch Medikamente deswegen, habe damit aber eigentlich keine Beschwerden mehr. Ich möchte versuchen, Dir auf Deinen Beitrag im Psychose-Leserforum vom 16. Mai 2005 zu antworten. Leider etwas spät, aber ich hab Deinen Beitrag erst heute gelesen.

Beim Ausbruch meiner Psychose hat zunächst auch bei mir nicht jeder ideal reagiert. Das ist aber auch keinem vorzuwerfen, denn wer rechnet im ersten Moment schon damit, daß die betroffene Person plötzlich an Wahnvorstellungen leidet? Zwar bin ich kurz vor dem Ausbruch meiner Psychose meinen Eltern bereits recht nervös und unausgeglichen vorgekommen, so wie Du das auch bei Deiner Freundin schilderst, aber eine Krankheit hat da noch keiner vermutet. Ich war zu der Zeit einfach ganz außer mir, weil ich mich wahnsinnig in ein Mädchen verliebt hatte, die mich aber recht schlecht behandelte. Alle wußten das und hielten das für die Erklärung meiner Nervosität, was ja auch stimmte. Der eigentliche Schritt zum krankhaften Zustand kam aber dann relativ abrupt.

Es fing damit an, daß ich im Radio auf einer längeren Autofahrt intensiv den Liedtexten zuhörte, was ich sonst nie tat. Natürlich ging es dabei immer um Liebe, und leider in einer anderen Radiosendung auch um Tod, und irgendwie hab ich das während der Autofahrt dann alles auf mich und meine neue Liebe bezogen (sogenannter Beziehungswahn), weil auch der Ex-Freund meiner Möchtegern-Freundin kürzlich bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. In der Nacht nach der Autofahrt schoß mir dann plötzlich der Gedanke "In einem Jahr mußt Du sterben" durch den Kopf, wie eine göttliche Eingebung, quasi als Strafe dafür, daß ich mich in eine "bekanntermaßen" todbringende Frau verliebt hatte, und ich sah dann im Geist meine Möchtegern-Freundin Tränen um meinen Tod weinen. Nun, Gott sei Dank lebe ich heute nach 3-1/2 Jahren immer noch, aber soviel zu meiner Geschichte.

Was Deine Freundin betrifft, könnte ich mir vorstellen, daß sie durch den fünften Verlust eines Kindes einfach psychisch schon sehr mitgenommen war. Die buddhistische Meditationswoche, wo niemand sprechen durfte und sie mit ihren Gedanken an die Fehlgeburt völlig allein gelassen war, hat ihr in dem Zustand dann wahrscheinlich einfach den Rest gegeben. Auch ich habe mir während meiner Psychose eingebildet, Gott (in meinem Fall der christliche) würde mir Zeichen geben, mir Gedanken einpflanzen, und ich wäre unter Umständen der neue Messias usw. Diese religiösen Gedanken waren aber eigentlich ganz furchtbar und haben mir richtig Angst und Gewissensbisse eingejagt. Die religiösen Motive haben sich dann allmählich mit realen Ängsten vermischt, weil ich dachte, mein ganzer Stadtteil wäre von islamischen Terroristen unterwandert. Ich bildete mir dann ein, daß mich der Geheimdienst über verschlüsselte Radiomeldungen zum Doppelagenten gegen die Terroristen ausbilden wollte. Na ja, da hat so jeder seine eigenen Spinnereien, unter denen er zu leiden hat.

Was ich damit sagen will, ist allerdings, daß die Gedankenwelt in einer Psychose sehr komplex und in sich sehr widersprüchlich ist, daß ich aber glaube, daß religiöse Motive darin in sehr vielen Fällen eine sehr wichtige Rolle spielen. Wahrscheinlich wäre es für Deine Freundin besser gewesen, sie hätte in der Situation nicht an dieser Meditation teilgenommen. Allerdings kenne ich mich mit der buddhistischen Lehre nicht so aus. Der christliche Glaube kann einen aber, wie ich inzwischen leidvoll erfahren habe, auch ziemlich runterziehen, wenn man zuviel darüber nachgrübelt. Andererseits hat er mir auch zeitweise Kraft gegeben. Es war ein ständiges Auf und Ab, weil ich immer zwischen Schuldgefühlen (Sünde) und Ohnmachtsgefühlen (meine Gedanken werden von Gott kontrolliert) auf der einen Seite und maßloser Selbstüberschätzung (Messias) auf der anderen Seite hin und her schwankte. Diese Widersprüchlichkeit hat mich dann erst recht wahnsinnig gemacht. Ich weiß nicht, ob einem das beim Buddhismus auch passieren kann. Wenn ich mich nicht irre, muß man da doch immer alles so hinnehmen wie es kommt und dazu lächeln oder so. Vielleicht konnte sie das einfach nach der fünften Fehlgeburt nicht mehr und hat vor diesem Anspruch letztlich durch Ausbruch der Psychose kapituliert. Ist aber nur eine sehr laienhafte Vermutung von mir.

Jedenfalls würde ich an Deiner Stelle trotzdem nicht versuchen, ihr ihren Glauben zu nehmen. Das würde Sie Dir bestimmt sehr übel nehmen, wenn er für sie richtig ist. Aber Du könntest vielleicht, wenn sie wieder normal ansprechbar ist, herausfinden, ob ihr Glaube etwas Belastendes für mich hat und versuchen, ihr diese Last abzunehmen. Ich habe mich nach Verbesserung meines Zustands auch allmählich immer wieder mal über religiöse Fragen mit meiner Familie und einem Freund unterhalten, und es hat mir gut getan, daß sie mir in diesen Gesprächen im Lauf der Zeit ein wenig die schrecklichen Aspekte des christlichen Glaubens weniger schlimm erschienen ließen, zum Teil einfach nur deswegen, weil sie sie gar nicht so schrecklich fanden.

Was das von Dir angesprochene Mißtrauen Deiner Freundin Dir gegenüber anbetrifft, kann ich das auch gut verstehen. Als ich mir einbildete, Geheimagent zu sein, habe ich mir zum Beispiel auch eingebildet, daß die guten Menschen (zum Beispiel meine Eltern) von den bösen Terroristen in unterirdischen Katakomben gehalten und gequält werden und daß diese Terroristen gelegentlich böse Kopien dieser guten Menschen nach oben ans Tageslicht schicken, um dort für sie zu arbeiten. Ich wußte daher nie, ob man es mit der guten oder der bösen Version eines Menschen zu tun hatte. Zu anderen Zeitpunkten bildete ich mir ein, daß ich irgendwie in die Hölle geraten war, wobei die Menschen dort für mich auch teuflisch verzerrte Gesichtsausdrücke hatten. Von solchen bösen Versionen der Menschen wollte ich mich natürlich fernhalten. Zu anderen Zeiten hatte ich dann wiederum das Gefühl, daß ich es mit einer guten Version zu tun hatte. Dann war in dem Moment wieder alles in Ordnung. Einmal ließ ich sogar meine Mutter nicht in meine Wohnung, die mich aus Sorge um mich besuchen kam, weil ich mir einbildete, sie hätte so eine teuflisch verzerrte Augenpartie. 30 Sekunden später erschien mir dann ihr Gesicht wieder normal und sanft, und dann ließ ich sie ein, aber ich war auch dann noch stets sehr mißtrauisch.

Vielleicht erklärt Dir das ein wenig, was für verrückte und zeitlich schwankende Gedanken man als Psychose-Betroffener haben kann und wie einen diese von seinen ehemals geliebten Mitmenschen entfernen können. Du solltest aber die Hoffnung nicht aufgeben, daß Dich Deine Freundin irgendwann nicht mehr abweist. Inzwischen habe ich zu allen Mitmenschen wieder die alten Beziehungen, nachdem mir mit Hilfe der Medikamente klar geworden ist, daß ich mir all diese schrecklichen Dinge nur eingebildet hatte.

Zur Genesung war für mich auch die große Geduld eines alten Schulfreundes sehr wichtig für mich, der sich auch während meiner psychotischen Phase alle meine Spinnereien geduldig angehört hat und versucht hat, mich vorsichtig davon zu überzeugen, daß doch eigentlich alles ganz normal ist und das man die Dinge auch anders sehen kann, eben normal, wie früher. Dadurch hat er nach und nach mein Vertrauen gewonnen und ich hatte somit zumindest eine Person an meinem Arbeitsort, der ich voll vertrauen konnte. Am Anfang, weil ich ihn auch für einen Doppelagenten wie mich selbst hielt, an dem ich mir ein Beispiel nahm, aber immerhin war sein Einfluß auf der zwischenmenschlichen Ebene positiv. Wirklich geholfen haben dann aber letztlich doch nur Medikamente, wobei man auch unbedingt die richtigen nehmen sollte. Welche das sind, ist anscheinend bei jedem unterschiedlich. Ich persönlich fahre seit 2 Jahren am besten mit Zeldox, eigentlich nebenwirkungsfrei.

Ich weiß nicht, ob gerade Du eine Person bist, die das Vertrauen Deiner Freundin schnell zurückgewinnen kann. Das hängt sicherlich auch davon ab, mit welchen Einbildungen und Wahnvorstellungen ihr Gehirn sie martert. Vielleicht gibt es etwas, was sie Dir konkret vorwirft. Vielleicht bildet sie sich auch ein, daß ihre 5 Fehlgeburten von Dir verschuldet sind oder irgendwie mit Dir zusammen hängen. Solange sie psychotisch ist, wird man an solchen Ansichten vielleicht nur wenig ändern können. Wenn sie mit Hilfe von Medikamenten wieder normal denken kann, wird sich das aber sicher mal in Ruhe besprechen lassen. Vielleicht stehen aber auch gar keine realen Gründe sondern nur irgendwelche Einbildungen hinter ihrer ablehnenden Haltung. Also: Kopf hoch. Psychosen sind heute in der Mehrzahl der Fälle heilbar. Ich würde aber versuchen, sie nicht zu bedrängen oder sie zu etwas zwingen, sondern ihr nur zu zeigen, daß Du auf ihrer Seite stehst und ihr helfen willst (nicht nur in der Realität, sondern notfalls auch in ihrer verzerrt wahrgenommenen Welt). Das braucht viel Geduld und ist auch nicht immer einfach, aber es ist für den Kranken sehr erleichternd, wenn er einen Verbündeten hat.

Hoffentlich helfen Dir und Deiner Freundin meine Ausführungen weiter.
Viele Grüße, Adrian



© 2009-2020 Bodo Bodenstein pahaschi.de
Impressum