Liebe Freunde, ich schreibe Euch diese Zeilen im Scheine eines kleinen Wachslichtes, das ich unter meinen Scheffel stellen mußte. Hier, im Heilig-Geist-Spital der märkischen Siedlergemeinde Ebertshausen, gelegen zwischen den Wiesen des Großen Biberflusses und dem Kaiserlichen Großschifffahrtsweg, ist es nicht gern gesehen, wenn man zu den Ruhezeiten sündigen Tätigkeiten nachgeht. Schon den zehnten Tag finde ich Obdach hier bei den Brüdern und Schwestern des Stiftes Friedensthal. Zimmerbruder Andreas ist bei seiner Familie und Bruder Stefan schläft noch den Schlaf des Gerechten. In der Stunde vor Mitternacht fand ich noch keinen Schlaf und so begab ich mich zur Nachtschwester, um etwas geistigen Beistand zu bitten, doch die Tür zur Heiligen Obacht war geschlossen. Um die zehn Minuten wartete ich vergeblich vor der Türe, auch ein zaghaftes Klopfen wurde nicht erhört. Ich war sehr verwundert, denn weit und breit war kein Retter in der Not, wenn ein Feuer ausgebrochen wäre, um die armen Seelen des Stiftes zu retten. Ich ging also wieder zu Bett und versuchte, an den Herrn zu denken. Vor meinem geistigen Auge sah ich mich nach einer geheimen Kammer suchen. Ich löste im mittleren Raum eines großen Hauses ein paar Fliesen vom Boden und stieß auf mein geheimes Versteck. In einer samtenen kleinen Truhe lag das wunderbare Fläschchen, die Schlaftropfen der Augsburger Hofapotheke. Das war nicht einfach nur Baldrian, es war eine wirksame Rezeptur. Nachdem ich ein paar Tropfen zu mir genommen hatte, wurde mein Körper immer schwerer. Ich sah mich in die Schränke meiner Mutter steigen, um Schlaf zu finden. Doch immer wenn ich mich hinlegte, fielen die Schränke um, mitsamt den Körben, die auf ihnen standen. Ich sah unsere Katze, den Kater Janosch, an meiner Fingerspitze schnuppern und wie er dann das Gesicht verzog. Ich sah mich in einem verträumten französischen Örtchen entlangspazieren, durch verwinkelte Gassen, und traf auf eine Herberge mit einer gläsernen Veranda. Angenehme Musik drang aus dem Haus. Ich ging hinein und traf eine kleine Gemischtwarenhandlung vor. Es standen Kunden an der Theke, also stellte ich mich an, wie ich es gewohnt war. Vor mir neckten sich zwei Kinder, ein ungefähr dreizehnjähriges Mädchen und ein ebenso alter Knabe. Sie stießen immer mit ihren spitzen dürren Schulterblättern gegeneinander, bis ich sie ermahnte. Dann gaben sie sich einen heftigen langen Kuss und verschwanden. Ich war an der Reihe. Vor mir stand die Verkäuferin, eine geschminkte Frau im Alter von 45 Jahren, mit prächtig schwarz gefärbten Haaren und ebenso solchen großen Augen. „Was wünschen Sie?“ fragte sie und drehte mit den Augen, eins davon ein Glasauge. „Meine Dame, meinen Sie mich? Offenbar schauen Sie an mir vorbei!“ gab ich ihr als Hinweis. Da wurde sie wütend, fletschte mit den Zähnen und unsere beiden Köpfe gerieten wutentbrannt gegeneinander. Ich gab mir einen Ruck und biß ihr den Kopf ab. Danach mußte ich eine bräunliche Flüssigkeit ausspucken, der Farbe nach wie die der Tropfen der Hofapotheke. Ich wachte auf. Jetzt muß ich an die Heilige Schwester dieses Stifts denken, die wie mir scheint, weniger an das Wirken Jesu Christi glaubt, sondern an das Wirken der sechs Elemente. Das Mittelchen P sollte mir helfen, hätte mich aber fast umgebracht, betrachte ich meine vielen blauen Flecken am Körper. So steht es jedenfalls im Ordensbuch, wie mir Stiftsbruder Grimmlich vorlas. Dabei bin ich der Meinung, die Heilige Schwester erwähnte das Mittelchen A, weil das besser zu meiner bewährten Rezeptur F passen würde. Mittelchen A ist unter den Brüdern und Schwestern gefürchtet, weil es zur Teufels- austreibung verwendet wird. Jedenfalls wollte die Heilige Schwester sogar mein bewährtes Mittelchen F streichen und mir stattdessen das Pulver S verabreichen. Sie malte den Teufel an die Wand und erzählte mir von jungen Mitbrüdern, die durch das Mittelchen R zu zuckenden Dämonen wurden. Da gingen aber die Gäule mit mir durch und ich rief „Im Namen des Herrn, lassen Sie die Finger davon!“ „Gut“ sagte sie, „Ihr Wille geschehe.“ Drei Tage später traf ich auf einen Bruder, der mir gegenüber bei der Morgenspeise saß und dessen Leib ständig zuckte. Ich fragte ihn, woher das käme und er sagte, das sei vom Mittelchen H. „Gott hab Erbarmen!“ rief ich und wollte ihn bedauern. Doch er meinte, er fühle sich gut damit. Erst habe er das Mittelchen R gehabt und davor das Mittelchen A und es sei beides die Hölle gewesen. Sprachs und stand mit zuckendem Bauche vom Tische auf. Mir scheint, die Heilige Schwester möchte gerne einen Wissenschaftlichen Ordinarius machen und so viele Mittelchen wie möglich erproben. Doch meine ich, der Segen Unseren Herrn spendet mehr Beistand und wenn man einmal eine bewährte Rezeptur gefunden hat, sollte man dabei bleiben. Das innere Gefühl muß stimmen und nicht das Passen der Elemente. Damit schließe ich für heute meinen Bericht und wünsche Euch einen segensreichen Tag. Bruder Johannes
Nachbemerkung nach einem Monat:
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