Pahaschi Blog
Berichte aus der Welt der Psychiatrie




Immer der moralische Hammer

Erstellt von Bodo am 14. März 2021 - 19:27 - 

In heutiger Zeit mangelt es nicht an Fragen und Aufforderungen, die dem Bürger als nicht zu diskutierender Imperativ um die Ohren geweht werden: Lass dich testen! Iss vegan! Schütze das Klima! Gehe wählen! Nutze den Tag! Liebe deinen Nächsten! Peng, Peng, Peng! In jeder beliebigen Zeitung werden täglich mindestens fünf moralische Probleme behandelt und mit den entsprechenden Aufforderungen versehen. Dabei ist so eine Menschenseele schon nur mit einer moralischen Frage am Tag, die es zu beantworten gilt, voll ausgelastet. Zum Beispiel mit der Frage: Gebe ich Trinkgeld, oder nicht?

Um dem täglichen medialen Dauerfeuer der Ausrufezeichen zu entgehen, flüchten viele Geplagte sich in die schützende Welt der sozialen Blasen, wo es viel Bestätigung gibt und nur eine Meinung: Wir sind gut und alle anderen sind schlecht! Mit diesem einen Imperativ kommt man noch klar.

Früher war alles viel einfacher, da gab es nicht diesen medialen Overkill wie heute. Aber die moralischen Keulen wurden ebenso geschwungen: Sag mir, wo du stehst! Seid stolze Thälmannpioniere! Werde Mitglied der Partei der Arbeiterklasse! Alles für das Wohl des Sozialismus! Peng, Peng, Peng! Wer sich dem entziehen wollte, bekam schon mal eine 24-h-Betreuung durch inoffizielle Mitarbeiter.

Tausend Jahre früher wurden jedoch auch die Moralkeulen hingehalten: Kauft nicht beim Juden! Folget dem Führer! Die arische Rasse wird siegen! Die Volksgesundheit hat oberste Priorität! Peng, Peng, Peng! Man hält das heutzutage alles für ideologische Phrasen, aber damals waren diese Aufforderungen stark moralisch aufgeladen, und wer da durch's Raster fiel, da machte es wirklich oft: Peng, Peng, Peng! Ohne Gewissensbisse.

Die moralischen Fragen lassen einen lebenslang nicht los. Man muss nur aufpassen, dass Ereiferung und Sanktionierung nicht über das Menschlichsein an sich dominieren. Der Mensch hat Schwächen, jeder Mensch hat Schwächen, und die sollte man auch zugestehen. Wenn der Mensch schwach ist, wird er auf seinen eigentlichen Kern zurückgebracht. Wenn er nur noch hilflos fleht: "Ich kann nicht mehr. Lasst mir doch einfach meinen Frieden ... eure Moral behaltet für euch."




© 2009-2020 Bodo Bodenstein pahaschi.de
Impressum