Ich bin jetzt 36 Jahre alt und die akute Phase meiner endogenen Psychose fand vor 10 Jahren statt (zwei Wochen geschlossene, sechs Wochen offene Station). An meinem 26. Geburtstag wurde ich das einzige Mal fixiert (eine schlimme Erfahrung). Wenn ich zurückdenke, wie es dazu kam, daß bei mir die Sicherungen durchbrannten, so finde ich mehrere Faktoren: Hauptgrund war aus meiner Sicht die lange, lange erfolglose Suche nach einer Partnerin; dazu kam die Überforderung in der Arbeit und eine aus den vorgenannten Faktoren resultierende Flucht in den Alkohol (Führerscheinentzug mit 2,28 Promille). Zudem konnte ich als alter Ja-Sager zu dieser Zeit keinen Job in meinem Sportverein ablehnen, also machte ich zusätzlich zum Fußball spielen (das mich als einziges nie belastete) auch noch Hauptkassier, Jugendbetreuer und Schiedsrichter. Also viel zuviel auf einmal und nichts richtig. Im großen und ganzen braucht Ihr nur das Tagebuch von Bodo lesen und ein paar Daten und Namen ändern, dann habt Ihr auch meine Geschichte. Bei mir als Wessi waren halt die Osteuropäer die Bösen, alle westdeutschen Kfz-Kennzeichen bedeuteten Sicherheit, ich glaubte, Nazis am Blick erkennen zu können (zu der Zeit lief "Schindlers Liste" im Kino), das Fernsehen wurde nur für mich gemacht, alle Leute redeten nur über mich und wie sie mich beeindrucken könnten, ich war das Zentrum der Welt! Meine Umwelt (Mutter, Bruder, Patenonkel) versuchten alles, um mich zu beruhigen. Half alles nichts: an einem Samstag brachten sie mich in die nächstgelegene psychiatrische Klinik, wo ich mit dem "Klassiker" Haldol behandelt wurde. Nach nur zwei Tagen hatte ich mich soweit beruhigt, daß ich sogar am Montag wieder entlassen wurde. Ich konnte in diesem Zustand erstaunlich überzeugend sein. Leider befolgte ich nicht den ärztlichen Rat, vorläufig nicht in die Arbeit zu gehen. Das Erstaunliche ist, daß diese Woche die "schönste" meiner fast zehnjährigen Tätigkeit im Amt war. Die durch die Psychose ausgelöste Euphorie schien mir Flügel zu verleihen. Allerdings kann ich mich auch dunkel an viele erstaunte Blicke von Kollegen und Freunden erinnern, denen mein Verhalten wohl (zurecht) seltsam erschien. Am darauffolgenden Samstag hatte ich die blöde Idee, meinen Geburtstag bei meinen neuen Bekanntschaften in der Klinik zu feiern. Doch ich flog mittlerweile so hoch, daß das Ganze mit der eingangs erwähnten Fixierung und einer Spritze in den A... endete. Die darauffolgenden Tage wurde ich mit Haldol so vollgepumpt, daß ich mich kaum noch bewegen und nur noch sehr undeutlich sprechen konnte. Ich wurde im wahrsten Sinne des Wortes ruhiggestellt. Die Behandlung führte dazu, daß ich von einer exzessiven Euphorie in totale Verzweiflung verfiel. Ich hatte zu überhaupt nichts mehr Lust, es schien, als wäre jede Energie aus meinem Körper entzogen. Ich schlief viel. Ich hatte viele Fragen. Nachdem eine ganze Reihe von medizinischen Untersuchungen (EEG, Tomographie, etc) kein Ergebnis brachten, lautete die Diagnose endogene Psychose, was wohl stimmt. Doch wie kann man die heilen? Gar nicht, man kann sie nur mit Medikamenten eindämmen, so wie ein Gelähmter Krücken braucht. Die Psychopharmaka sind unsere Krücken, ein Leben lang. Nachdem ich nach zwei Monaten auf eigenen Wunsch entlassen wurde, war ich erstmal bis Ende des Jahres krankgeschrieben. Ich brauchte viel Zeit, um die Krankheit als solche zu akzeptieren. Mir war es doch so gut gegangen, die erlebte Euphorie war ein tolles Gefühl gewesen. Ich habe danach nie wieder so tief empfunden wie in der akuten Phase. Aber jetzt mußte ich mit der Realität wieder klarkommen. Kam ich aber erst mal nicht. Kurzfassung der nachfolgenden Ereignisse: Führerscheinentzug wegen Alkohol, ein Selbstmord- versuch mit angesammelten Psychopharmaka, Entlassung aus dem Staatsdienst wegen dauernder Dienstunfähigkeit, seit zehn Jahren durchgehend Behandlung mit Psychopharmaka. Zwischendurch hab ich mehrmals die Tabletten selbständig abgesetzt, zuletzt im Herbst 2002. Konsequenz: Innerhalb von zwei Wochen kommt die Euphorie zurück, zusammen mit den wirren Vorstellungen und der Ich-Bezogenheit, einem gesteigerten Selbstvertrauen und tiefem Empfinden. Mein Doc erhöht dann für mehrere Wochen die Dosis, um sie dann langsam wieder zu reduzieren auf mein jetziges Niveau: Ich nehme seit nunmehr zwei Jahren 5 mg Zyprexa am Tag. Das sind meine Krücken, und ohne sie würde ich auf die Schnauze fallen. Laßt Euch von niemandem einreden, daß Ihr "dieses Gift" nicht braucht. Meistens meinen es diese Leute ja gut, wenn sie einen solchen Rat erteilen, aber würden sie auch einem Gelähmten raten: "Schmeiß Deine Krücken hin und lauf!"??? Im Jahr 2003 trat eine Frau in mein Leben, die mir die Freude am selbigen zurückgab. Sie liebte mich trotz meiner Krankheit, von der ich ihr nichts verschwiegen habe. Daß diese Beziehung dann im Sommer 2004 doch zuende ging, hatte nichts mit der Psychose zu tun. In der Zeit, in der ich mit ihr zusammen war, stabilisierte ich mich immer mehr und selbst nach der Trennung ist bis heute nichts mehr vorgefallen. Sie hat mir sehr viel Kraft und Freude gegeben. Dafür werde ich ihr mein Leben lang dankbar sein. Und wie geht's weiter? Ich werde mir nach sieben Jahren Rente wegen Erwerbsunfähigkeit eine neue Arbeit suchen. Doch wie soll ich vorgehen? Die Wahrheit über meine Entlassung aus dem Staatsdienst sagen oder überhaupt nicht erwähnen und den Lebenslauf etwas frisieren? Ich wünsche allen von einer Psychose heimgesuchten viel Kraft und Freude am Leben. Keep your feet on the ground and keep reaching for the stars ...
Christoph
|
© 2009-2020 Bodo Bodenstein
pahaschi.de
Impressum