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Berichte aus der Welt der Psychiatrie




Zwischen Wahn und Depression - eine schizophrene Mutter erzählt

Leserforum-Beitrag 386 vom 7. Januar 2006

Wie steht Ihr zu Medis? Eine schizophrene Mutter hat ihre Erkenntnisse mal locker zusammengefasst:

Das was sie mit Deinem Körper machen, versuchen sie auch mit Deinen Nervenzellen, nur sind die Fesseln nicht aus Leder, sondern aus Gift. Aber Du hast den Bezug zu Deinem Körper noch nicht ganz verloren. Gegen Gift gibt es Gegengift. Nikotin, Coffein, Alkohol, Zucker. Aber Deine Verfolger sind nicht dumm, sie wissen das auch. Du befindest Dich im Krieg, der Schwarzmarkt blüht. Wer ist so mutig und bricht die Gesetze, wer versorgt Dich mit Stoff. Eine andere Möglichkeit wäre laufen, um Deine Gedanken zu ordnen, aber das ist nicht erwünscht. Ich bin regelmäßig davongelaufen, mein Freiheitsdrang war enorm. Aber warum darfst Du Dich nicht bewegen, wenn Dein Körper danach schreit? Warum musst Du jeden Schritt genehmigen lassen? Zum einen ist Ausgangssperre ein wichtiges Sanktionsmittel gegen medikamentenverweigernde Patienten, und zum anderen bist Du gemeingefährlich. Gefährlich ja, denn sie sind neidisch auf das, was Dein kranker Kopf sieht, auf die Möglichkeit das Universum zu begreifen.

Leider ist es aber unmöglich, das zu erleben ohne die Kontrolle zu verlieren. Aber Du hast ja den Bezug zur Realität verloren und denkst Du schaffst es den Weg noch einmal bei klarem Verstand zu gehen. Du bist ja Weltverbesserer, Du bist Revoluzzer. Du malst Hyroglypen aufs Papier – verschlüsselt – denn die anderen dürfen nicht wissen, was Du weißt. Aber Du durchschaust sie, sie fürchten um ihre Macht, schlimmer noch, sie haben böse Absichten und werden Deinen genialen Geist für ihre Zwecke ausnutzen, wie seit 2000 Jahren. Was haben sie mit Jesus gemacht, der am Kreuz gestorben ist. Eine Fixierung ist eine Kreuzigung. Du wirst mit Deiner Todesangst allein gelassen. Du bist am Verdursten, und keiner hört Dein Flehen nach Wasser. Du rufst nach der Schwester bis Du heiser bist, aber niemand nimmt Dich ernst. Du wirst gezwungen ins Bett zu pinkeln, weil keiner Dir glaubt, dass Du zur Toilette musst. Aber was Dich nicht umbringt, macht Dich stark. Und warum das ganze Theater? Du willst das nicht noch einmal erleben, und was passiert? Beim nächsten Mal wehrst Du Dich mit Händen und Füßen, und die Angst verleiht Dir Bärenkräfte. Vier Mann sind nötig, um Dich zu bändigen. Sie fixieren Dich so wie sie Dich zu fassen kriegen. Die eine oder andere Gliedmaße ist verdreht, der Fuß schläft ein, Du kannst in nicht in Position bringen. Monatelang wirst Du noch ein Taubheitsgefühl in den Zehen haben, aber das ist ja eine Folge vom Nikotinmissbrauch.

Nikotin, Dein Freund in der Not. Das Raucherzimmer, der einzige Ort, wo Kommunikation stattfindet. Der Ort, wo Du klar zwischen Normalo und Inhaftierten unterscheiden kannst. Hier fühlst Du Dich geborgen, hier kannst Du Musik hören, Deine Gedanken schweifen lassen. Hier kannst Du auch nachts alleine sein. Hier kannst Du das Nikotin gebrauchen, um Deine Konzentration zu erhöhen, das Wolleknäul in Deinem Kopf entwirren, denn Du hattest im Halbschlaf wieder eine Erleuchtung. Ein weiteres Puzzleteil. Noch siehst Du das fertige Bild nicht, aber Du wirst es schaffen. (1)

Endlich entlassen.

Du armer Narr, Du kennst die Schwester der Psychose noch nicht, die Depression. Sie lauert Dich auf, wenn Du wieder Boden unter den Füßen hast. Sie wird Deinen Willen brechen, Deine Euphorie ins Gegenteil verkehren. Du wirst wieder mehr recht als schlecht funktionieren. Aber Du wirst wenigstens wieder als Persönlichkeit wahrgenommen, zu dem Preis, dass ein Teil Deines Selbst verschüttet wurde. Du wirst Dir den Zugriff darauf hart erarbeiten müssen. Wirst Du die Aufbauarbeit schaffen, bevor der nächste Schub Dich überrollt? Bis die Drehtür sich wieder auftut. Niemand kennt Deinen Kampf. Und Du selbst musst lernen, die Gefahren zu erkennen. Es ist so herrlich aus der Depression zu erwachen, sich wieder ganz zu fühlen, manisch zu werden. Hier beginnt der Tanz auf dem Hochseil. Hier finde ich Tabletten hilfreich. Aber Du brauchst einen verlässlichen Partner.

Einen Verbündeten, der Dir hilft im Gleichgewicht zu bleiben, nicht übers Ziel hinauszuschiessen. Aber er darf Dich nicht mit Argusaugen überwachen, er muss Dir die Verantwortung lassen, solange Du sie tragen kannst, er darf Dich nicht entmündigen. Wenn er überfordert ist, kann er Dich in die Klinik bringen. Aber bitte nicht abschieben. Regelmäßiger Kontakt ist wichtig, es ist der Schlüsselweg zur Normalität. Das ist schwierig.

Mein einziges verlässliches Frühwarnsymptom ist, dass der Schlaf aus dem Rhythmus kommt. Du kannst den Schlaf nicht mit Gewalt erzwingen. Du musst ein Stück auf Deinen Körper hören. Dein Kopf hat wieder Zugang zu Deinem Unterbewusstsein. Solange der Strom gemächlich fließt, ist es in Ordnung, schenkt Dir Kreativität. Aber diese Kreativität ist eine Droge, man will mehr davon. Man kennt ja Höhenflüge, und vielleicht gibt es auch Höhenflüge ohne Angst.

In diesem Sinne – gebt die Hoffnung nicht auf!



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